Sicherheit Deutsche Eltern: Weder hysterisch noch nachlässig
Was, wenn sich unser Kind verletzt, wenn es krank wird oder wenn wir unsere Arbeit verlieren? ELTERN und die Allianz Deutschland haben dazu eine große Umfrage gestartet: Welche Befürchtungen haben Eltern, wie sichern sie sich und ihre Kinder ab? Hier finden Sie die Ergebnisse:
Wie viel Sicherheit brauchen Eltern und Kinder?

Die Allianz Deutschland AG und die Zeitschrift ELTERN haben in einer repräsentativen Studie bundesweit 1.000 Eltern gefragt, deren erstes Kind zum Befragungszeitpunkt nicht älter als vier Jahre war: Welche Befürchtungen haben sie, wie sichern sie sich und ihre Kinder ab?
Das beruhigende Gesamtergebnis: Mütter und Väter sind hierzulande weder hysterisch noch nachlässig. Der Großteil der Eltern sieht der eigenen Zukunft (65 Prozent) und der Zukunft ihrer Kinder (64 Prozent) optimistisch bzw. sehr optimistisch entgegen. Allerdings schätzt die Hälfte der Befragten (51 Prozent) sich als eher ängstlich ein.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
Für Eilige stellen wir hier außerdem einige der wichtigsten Studienergebnisse vor. Außerdem haben wir einen Experten gefragt, welche Absicherungen für Familien wirklich sinnvoll sind. Und ein Psychologe erklärt, warum Fürsorge gut für Kinder ist, zu viel Angst sie jedoch hemmt. Klicken Sie einfach auf den Link, der sie am meisten interessiert:
- Was fürchten Eltern am meisten?
- Wie viel Angst haben Eltern vor globalen Bedrohungen?
- Wie versuchen Eltern, ihre Kinder vor Gefahren zu schützen?
- Welche Strategien haben Eltern, um mit Ängsten umzugehen?
- Wie viel Wert legen Eltern auf Versicherungen?
- Welche Versicherungen sind für Eltern sinnvoll?
- Wie finden Eltern die Balance zwischen Fürsorge und Ängstlichkeit?
Mehr zum Thema finden Sie in der aktuellen ELTERN-Ausgabe

Wie groß ist das Sicherheitsbedürfnis deutscher Eltern? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die aktuelle ELTERN-Ausgabe, die ab dem 16. Mai 2012 im Zeitschriftenhandel erhältlich ist.
Was fürchten Eltern am meisten?
Am meisten Sorge bereitet den Eltern der Gedanke, dem Kind könnte etwas zustoßen: Ihr Kind könnte sterben (72 Prozent), einen schweren Unfall haben (67 Prozent) oder nach schwerer Krankheit Invalide werden (50 Prozent). Vor dem Tod des eigenen Kindes haben Männer tendenziell weniger Angst als Frauen (60 zu 79 Prozent), dafür sind junge Eltern bis 29 Jahre ängstlicher als Eltern über 40 (79 zu 60 Prozent).
Wie viel Angst haben Eltern vor globalen Bedrohungen?
Die Furcht vor persönlicher Bedrohung ist insgesamt größer als die Angst vor globalen Bedrohungen. Die Angst vor eigener schwerer Krankheit (51 Prozent), dem Verlust des Partners (50 Prozent), der Armut verbunden mit sozialem Abstieg (40 Prozent), dem eigenen Tod (34 Prozent) und Arbeitslosigkeit (31 Prozent) sind für die befragten Eltern größer als die Angst vor Krieg (31 Prozent), Atomunglück (28 Prozent), Finanzkrise (26 Prozent) oder Klimakatastrophe (26 Prozent). Auch hier gilt: Männer sind weniger ängstlich als Frauen, junge Eltern ängstlicher als ältere.
Wie versuchen Eltern, ihre Kinder vor Gefahren zu schützen?
Entsprechend versuchen Eltern, ihre Kinder vor Alltagsgefahren zu schützen und mit technischen Hilfsmitteln Unfälle zu verhindern. Jeweils über 90 Prozent finden: Kinder sollen erinnert werden, nicht mit Fremden mitzugehen (95 Prozent), Steckdosen müssen gesichert sein (94 Prozent), Kinder müssen einen Helm auf dem Lauf- beziehungsweise Fahrrad tragen (93 Prozent) und brauchen einen ausreichenden Impfschutz (93 Prozent), Kinder unter vier Jahre dürfen nicht ohne Aufsicht draußen spielen (86 Prozent) und Schubladen mit Messern müssen gesichert sein (75 Prozent). Doch nur 14 Prozent finden es richtig, Kindern unter vier Jahren Süßigkeiten zu verbieten.
Welche Strategien haben Eltern, um mit Ängsten umzugehen?
Wie reagieren Eltern in belastenden Situationen? Auch hier zeigte sich, dass die eine Hälfte der Befragten eher ängstlich ist und mit großer Vorsicht handelt. So lautete eine Frage: Angenommen, Ihr Kind hat 38,2 Grad Fieber, aber keine erkennbaren Symptome - was würden Sie tun? 52 Prozent gaben an, damit zum Arzt gehen und ihr Kind untersuchen lassen. Wobei hier Männer häufiger zum Arzt gehen würden als Frauen (56 zu 49 Prozent) und in den alten Bundesländern die Eltern seltener zum Arzt gehen als in den neuen Bundesländern (49 zu 61 Prozent).
Ein andermal wurden die Eltern gefragt, wie sie sich verhalten, wenn sie erfahren, dass ein Spielzeug ihres Kindes Schadstoffe (innerhalb gültiger Grenzwerte) enthält. 55 Prozent antworteten, sie würden das Spielzeug vorsichtshalber wegschmeißen.
Wie viel Wert legen Eltern auf Versicherungen?
Bezogen auf Versicherungen fühlen sich fast drei Viertel der Befragten (72 Prozent) gut beziehungsweise sehr gut abgesichert. Realistisch gesehen, trifft dies aber nur teilweise zu. Eltern geben 113 Euro im Monat für Versicherungen aus, und die meisten von ihnen (90 Prozent) haben eine private Haftpflichtversicherung.
Eine Risikolebensversicherung hat dagegen nur jeder Dritte der Befragten (35 Prozent). Auch nach der Geburt des ersten Kindes schließt nur jeder Siebte (15 Prozent) eine solche Versicherung ab.
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung besitzen sogar nur 28 Prozent der befragten Eltern, und nur sechs Prozent, die keine haben, holen dies während der ersten Schwangerschaft beziehungsweise nach der Geburt nach.
Nur die wenigsten (12 Prozent) haben eine Kinderinvaliditätsversicherung. Bei starker gesundheitlicher Beeinträchtigung durch eine schwere Krankheit oder einen Unfall zahlt sie eine monatliche Rente und federt so die finanziellen Folgen ab. Ingesamt fällt auf, dass nicht einmal jeder zweite (47 Prozent) überhaupt eine Versicherung speziell fürs Kind abschließt.
Zu wenig Geld ist laut der Studie nicht die Ursache für die relativ geringe Absicherung bei Kinderversicherungen. Denn wenn Eltern für ihre Kinder Geld sparen, werden im Durchschnitt 56 Euro im Monat zurückgelegt. Bei zwei Drittel der Kinder (63 Prozent) legen Verwandte oder Freunde für das Kind noch mal dieselbe Summe zurück. Auch zu wenig Sorge ist, wie die Studie belegt, nicht der Grund, denn die größten Ängste der Eltern, was ihre Kinder betrifft, sind nach dem Tod (72 Prozent) ein schwerer Unfall (67 Prozent) und Invalidität nach Krankheit (50 Prozent).
Welche Versicherungen sind für Eltern sinnvoll?
Drei Fragen an Severin Moser, Vorstand der Allianz Deutschland AG, mit der ELTERN diese Befragung durchführte:
Hat Sie an den Ergebnissen unserer gemeinsamen Befragung etwas überrascht?
Mich hat mit meinem Blick als Versicherer natürlich der deutliche Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher Absicherung verblüfft. So meinen 72 Prozent der Eltern in Deutschland, gut versichert zu sein - was ja an sich positiv ist. Aber mehr als die Hälfte, nämlich 53 Prozent, schließt gar keine Versicherung fürs Kind ab. Die wichtige Kinder-Invaliditätsversicherung hat zum Beispiel gerade mal jeder Achte. Da sehen wir noch hohen Informationsbedarf.
Gibt es noch etwas, das der Versicherer Eltern raten würde?
Positiv ist, dass fast 90 Prozent der Befragten eine Privathaftpflicht abgeschlossen haben. Ich empfehle ihnen, hier zu prüfen, ob auch Schäden ihrer Kinder, die bis zum Alter von sieben Jahren als deliktunfähig gelten, übernommen werden.
Die gleiche Elternbefragung fand auch in der Deutsch- und in der West-Schweiz statt. Die Mütter und Väter dort wirken entspannter. Wie erklären Sie das?
Die Deutschen äußern ihre Angst vor sozialem Abstieg und Arbeitslosigkeit viel stärker. Meine Landsleute - ich selbst komme aus der Schweiz - sind da zurückhaltender. Sie sichern sich aber auch mehr ab und geben für Versicherungen mehr Geld aus. Das liegt wohl an ihrem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis und der Bereitschaft, mehr private Vorsorge zu leisten.
Wie finden Eltern die Balance zwischen Fürsorge und Ängstlichkeit?
Professor Michael Schulte-Markwort, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Hamburger UKE und am Kinderkrankenhaus Altona, sagt: Eltern sind heute fürsorglich und sicherheitsbewusst wie nie, können aber oft nur schwer loslassen.
Wie unsere aktuelle Studie belegt, sehen Eltern die Zukunft ihrer Kinder vorsichtig optimistisch. Aber da sind auch viele Ängste, vor Krankheiten, vor Unfällen, vor Schulversagen. Nach Ihrer Erfahrung: Sind Eltern heute eher zu besorgt oder eher zu lässig?
Fatalerweise geht die Schere immer weiter auf. Auf der einen Seite stehen Vernachlässigung und Desinteresse, auf der anderen Seite erlebe ich den Typ Mutter und Vater, der immer alles richtig machen will. Dieser hohe Anspruch führt aber auch zu großer Unsicherheit. Solche Eltern fragen ständig ängstlich nach: Ist mein Kind normgerecht, körperlich und seelisch? Ich sehe diese Entwicklung im Krankenhausalltag: Früher sind wir als Psychiater den Symptomen eher hinterhergelaufen, heute kommen Eltern schon bei der kleinsten Auffälligkeit. Wobei ich das nicht verurteile, im Gegenteil, es zeugt ja von Liebe und Aufmerksamkeit.
Auch an anderer Stelle ist das Risikobewusstsein gestiegen, obwohl die reale Gefahr seit Jahrzehnten gleich geblieben ist oder sogar abgenommen hat - etwa bei Gewaltdelikten oder Verkehrsunfällen. Sind wir alle paranoid?
Das sicher nicht, für diese Entwicklung tragen auch die Medien Verantwortung. Heute wird sehr viel ausführlicher und auf sehr viel mehr Kanälen berichtet.
Was hat das für Folgen?
Wir versuchen, gefühlte Bedrohungen in Schach zu halten, indem wir sie kontrollieren. Angefangen von der lückenlosen medizinischen Begleitung in der Schwangerschaft bis zum Phänomen, dass noch Viertklässler jeden Tag in die Schule gebracht werden. Umso dramatischer empfinden Eltern es, wenn diese Kontrollmechanismen versagen - etwa, wenn es bei einer Geburt zu Komplikationen kommt oder wenn ein Kind trotz Helm und Verkehrstraining mit dem Fahrrad verunglückt. Dabei ist die totale Kontrolle eine Illusion, egal ob in der Medizin oder im Alltag.
Was geschieht mit der kindlichen Psyche, wenn das Kind von klein auf lernt: Du darfst keinen Schritt allein machen, überall lauern Gefahren?
Ist doch klar - es nimmt die Welt in erster Linie als Bedrohung war, nicht als spannenden Erfahrungsraum. Im Gespräch mit Eltern drehe ich häufig das Sprichwort um und sage: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Ich muss einem Kind auch negative Erfahrungen zugestehen. Ob nun das Dreijährige mal von der Schaukel fällt oder der Zehnjährige sich in einem unbekannten Stadtviertel verirrt. Denn an der Bewältigung solcher Erfahrungen wächst das Kind. Schon heute beobachten wir, dass Kinder und Jugendliche motorisch deutlich weniger geschickt sind als vor 30 Jahren - eine Folge der Überfürsorge.
Wie sehr müssen Eltern Kinder vor alltäglichen Gefahren schützen?
Weniger, als sie denken. Die meisten Kinder kennen ihre Grenzen ganz gut und klettern zum Beispiel auf einem Klettergerüst nur so hoch, wie sie es auch bewältigen können. Schon ein Krabbelkind sucht ab einer bestimmten Entfernung den Blick der Mutter: Ist es okay, wenn ich mich weiter von dir wegbewege? Dann ist es ihre Aufgabe, das Kind zu ermuntern. Wenn Eltern ständig warnen und einschreiten, behindert das den natürlichen Prozess, mit dem ein Kind auslotet, was es sich zutrauen kann.
Sich zurückzuhalten kann aber auch ganz schön schwierig sein.
Die Nabelschnur zwischen Eltern und Kindern ist ja nie ganz durchgeschnitten, sie bleibt vorhanden - wie ein Gummiband. Sie sollte nur mit zunehmendem Alter immer dehnbarer werden.