Geburtsfotografin Isabell Steinert„Geburten haben Suchtpotenzial. Man bekommt so einen Oxytocin-Schub mit, wenn das Baby auf die Welt kommt.“
Isabell Steinert ist eine von 19 registrierten Geburtsfotograf*innen in Deutschland. Auf der Seite der International Association of Professional Birth Photographers (IAPBP) ist sie sogar nur eine von acht Deutschen. Wie hat sie diese Nische für sich entdeckt? Und was macht Geburtsfotografie für sie so besonders? Ein Gespräch über die magischen Momente der Geburt, interkulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten – und die Macht des Mediums Fotografie.

„Rückblickend war die Fotografie schon immer Teil meines Lebens“, sagt Isabell Steinert (36), Geburtsfotografin aus Freiburg im Breisgau. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie mit gerade mal elf Jahren für die Lokalzeitung „Pfiffig“ der Südwest Presse Neckarquelle unterwegs war. Dass sie später einmal Frauen auf den Philippinen und in Deutschland bei deren Geburten mit ihrer Kamera begleiten würde, hätte sie damals wohl sicher nicht vermutet. „Ich bin 2014 ohne festes Rückkehrdatum auf die Philippinen gezogen, um dort in einem Kinderheim und Geburtshaus zu arbeiten. Mein Hintergrund ist im Marketing. Der Plan war, dass ich dort bei der PR unterstütze.“ Und auch wenn sie das machte, so kristallisierte sich nach und nach etwas heraus, das zunehmend wichtiger für sie wurde – die Fotografie.

„Eine meiner Aufgaben war es, die Kinder fotografisch zu begleiten. Wenn eines von ihnen adoptiert wurde, erhielten sie ein Fotobuch mit Bildern aus ihrer Zeit im Kinderheim.“ Eine wertvolle Sammlung von Erinnerungen. Aber wie kam Isabell davon, den Alltag der Heimkinder mit der Kamera einzufangen zur Geburtsfotografie? Diese war zu dieser Zeit nämlich vor allem in den USA als fotografische Reportage-Disziplin bekannt und löste anderenorts oft Stirnrunzeln oder irritierte Blicke aus. „Eine unserer Sozialarbeiterinnen kam eines Tages auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht ihre Geburt fotografieren könnte. Wir kannten uns recht gut und ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige Geburten mitbegleitet – aber mehr in der Rolle einer Doula. Ich freute ich mich riesig über ihr Vertrauen.“

Und so wurden aus einer Geburt zwei und dann drei und so weiter. Es sprach sich herum, dass sie jetzt Geburten fotografierte. Bis heute hat Isabell mehr als 100 Geburten begleitet und sie kann sich an jede Einzelne erinnern.

Bis 2017 blieb Isabell noch auf den Philippinen, dann ging es zurück Richtung Deutschland: „Es war zwar eine bereichernde Zeit, aber auch sehr herausfordernd. Ich selbst bin nicht Mutter. Ich ging damals alleine ohne Familie auf die Philippinen. Dort habe ich dann Kinder bis zu 18 Monaten begleitet, sie im Tragetuch herumgetragen, ihnen eine Mama auf Zeit gegeben. Und dann wurden sie irgendwann adoptiert und ich musste loslassen. Das war nicht leicht.“ Aber nicht nur die enge Bindung zu den Kindern, sondern auch die Geschichten dahinter hinterließen ihre Spuren: „Es war oft schwierig, zu hören, warum manche der Mütter ihre Kinder ins Heim geben mussten. Zudem hatte ich aufgrund der Geburten nur sehr unregelmäßigen Schlaf, das Klima machte mir zu schaffen. Irgendwann kam dann der Punkt, wo für mich feststand: Ja, das ist mein Herzensprojekt. Aber es ist an der Zeit zurückzugehen.“

Was blieb, war die Geburtsfotografie – eine im Jahr 2017 immer noch recht unbekannte Praxis in Deutschland. Das Ereignis der Geburt, dieser Moment, in dem einem anderen Menschen neues Leben geschenkt wird, ist wahnsinnig intim, verletzlich, intensiv. Nicht jede Frau kann sich vorstellen, diesen mit Fremden zu teilen. „Irgendwie finde ich es schon schade, dass nicht alle Frauen so eine Geburt hautnah miterleben können, wie ich es auf den Philippinen habe. Denn die laufen wirklich ganz anders ab, als es in den Medien dargestellt wird: Ärzte, die durch die Gänge hasten, Hektik überall und eine Frau, der geholfen werden muss. Das habe ich bei unzähligen Geburten ganz anders miterlebt. Dass ich diese Momente dann mit der Kamera festhalten durfte, ist ein Privileg.“

Und wie ist Isabells Herangehensweise hier in Deutschland? Wie findet sie heraus, welche Wünsche die gebärenden Frauen haben und was sie sich von ihr als Geburtsfotografin wünschen? „Weil es so ein intimes Ereignis ist, möchte ich die Familie und nicht nur die gebärende Person kennenlernen. Ich habe auch einen Fragebogen, mit dem ich viel Grundsätzliches abkläre: Wann ist der ET, gab es schon vorige Geburten, gibt es etwas, das nicht fotografiert werden soll? Wer ist bei der Geburt dabei? Das persönliche Vorgespräch ist dann mehr ein Abtasten. Dabei finde ich dann oft auch die Nuancen heraus. Worum geht es den Frauen? Sollen die Bilder zeigen, wie stark sie waren? Geht es mehr um die ersten Momente des Babys?“ Gerade im Corona-Jahr 2020 ist dieses Kennenlernen schwieriger geworden. Es muss geklärt werden, ob Isabell mit ins Krankenhaus kommen darf. Aktuell finden die meisten Geburten, die sie begleitet, zu Hause oder im Geburtshaus statt.

Aber spielt es bei der Geburtsfotografie denn eine Rolle, wie und wo eine Frau entbindet? Eigentlich nicht, sagt Isabell. Die äußeren Umstände müssen geklärt sein. Sofern das der Fall ist, kann sie dabei sein. Das Krankenhauspersonal muss individuell zustimmen. Bisher hat sie tatsächlich nur eine Kaiserschnitt-Geburt fotografiert. Das war auf den Philippinen mit ihr als der einzigen Begleitperson. Eine intensive Erfahrung, die unvergessen bleibt. Und die Fotos helfen dabei, das Erlebte nachzuempfinden und zu verarbeiten.

Hat sie denn schon mal eine Geburt verpasst? „Ja einmal. Das war auch auf den Philippinen und der Weg war etwas zu weit. Als wir, also das gesamte Team inklusive Hebammen, endlich ankamen, war das Baby schon 15 Minuten da. Wir haben dann noch die Plazenta mitbekommen.“

Das sollte Isabell in Deutschland nicht noch mal passieren. Es ging um eine Geburt etwa zwei Autostunden von ihr entfernt und es war das dritte Kind. „Als mich die Frau Freitagnacht informierte, sie habe Wehen und würde sich noch mal hinlegen, wurde ich nervös. Ich wusste, dass es eine Baustelle auf der Strecke gab mit extrem viel Verkehr. Ich hatte Angst, zu spät zu kommen, wollte die Frau aber nicht unnötig beunruhigen. Deshalb bin ich dann einfach hingefahren und habe zwei Nächte im Auto übernachtet. Nichts passierte. Am Sonntag fuhr ich dann zurück nach Hause. Zum Glück: Denn die Geburt ließ dann noch einige Tage auf sich warten. Die Entfernung ist für uns Geburtsfotografen generell ein Risiko. Gleichzeitig haben Geburten voll das Suchtpotenzial. Man bekommt so einen Oxytocin-Schub mit, wenn das Baby auf die Welt kommt. Das ist den Stress auf jeden Fall wert!“

Gab es denn bei so vielen Geburten eine, die besonders in Erinnerung geblieben ist? „Ich war mal bei einer Geburt im Freien dabei. Sie fand in einem Pool statt, direkt neben den Reisfeldern mit den Bergen im Hintergrund. Es war Vollmond und das Kind heißt auch noch Sinag (auf Deutsch „Lichtstrahl“). Es war alles so passend.“

Mehr über die Geburtsfotografin Isabell Steinert findet ihr auch auf ihrer Webseite und auf Instagram @isabellsteinertfotografie.
Hier kommt ihr zum Verzeichnis der in Deutschland registrierten Geburtsfotograf*innen
und hier zu der International Association of Professional Birth Photographers (IAPBP).